Blick zurück – nach vorn! 40 Jahre Psychiatrie-Enquete – 40 Jahre Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V.

Ein Gastbeitrag von Birgit Görres, Geschäftsführerin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. (Köln)

Der Blick zurück auf die Auswirkungen der Psychiatrie-Enquete (1975) macht es notwendig, den Aufbau ambulanter und lebensweltorientierter regionaler Strukturen durch gemeindepsychiatrische Träger mit in den Fokus der Betrachtung rund um ihr 40 jähriges Jubiläum zu nehmen. Die Psychiatrie-Enquete schuf die politische und fachliche Grundlage zu einem Bürgerengagement für eine menschengerechte und lebensweltorientierte Psychiatrie und forderte eine Änderung des bisherigen rein medizinischen Blicks auf psychisch erkrankte Menschen. Dabei prägte die breite gesellschaftliche Diskussion über die Patientenmorde der Nationalsozialisten – zynisch Euthanasie genannt – und die Verwicklung der psychiatrischen Kliniken und Behinderteneinrichtungen das Engagement meist junger Bürger für die Auflösung der Großkrankenhäuser und die Entwicklung ambulanter Alternativen.

Eine weitere Triebfeder des Bürgerengagements für eine ambulante Alternative zur ärztlich geprägten Großeinrichtung stellten christliche und an einer „Pädagogik der Unterdrückten“ orientierte Werte dar, die den bürgerschaftlichen Einsatz für eine Begegnung und Annahme psychisch erkrankter Menschen als Mitbürger förderten und forderten.

Gemeinsam war diesen Gruppen, dass sie eine Transition der Psychiatrischen Kliniken in die Gemeinde verlangten. Eine breite Bewegung – ganz unterschiedlich motivierter Bürger – entstand, die mit einer ansprechenden Öffentlichkeitsarbeit und einprägsamen Slogans wie „Löst das Großkrankenhaus auf!“, „Irren ist menschlich“, „Freiheit heilt!“, oder  „Ambulant vor Stationär“ ihr Anliegen in der Öffentlichkeit gut kommunizierten. Sie traten für eine Wiederbeheimatung von ehemaligen Langzeitpatienten in ihren vorherigen Wohnorten sowie für eine stärkere Integration und Akzeptanz psychisch erkrankter Menschen in „der Gemeinde“ ein. In der Folge entwickelten sich aus den damaligen bürgerschaftlichen Hilfsvereinen professionelle Trägerorganisationen, die den Aufbau ambulanter und lebensweltorientierter Hilfen – finanziert aus unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern – realisierten.

Die im Zuge einer breiten gesellschaftlichen Diskussion durch engagierte Bürger aufgebauten regionalen „Hilfsvereine“ für psychisch erkrankte Menschen gründeten schon früh (1975 vorbereitet, 1976 gegründet) einen bundesweit agierenden Verband, den Dachverband psychosozialer Hilfsvereinigungen e.V. (später Dachverband Gemeindepsychiatrie). Inzwischen sind diese ehemaligen „Hilfsvereine“ heute weitgehend professionelle Trägerorganisationen ambulanter psychiatrischer Hilfen und organisiert in unterschiedlichsten Rechtsformen.

Neben ihrer Historie, die von ständiger Innovation und unternehmerischem Risiko geprägt ist, verbindet diese Organisationen nicht nur formal ihr bundesweiter Dachverband. Wichtig ist die Ausrichtung an fachlichen Werten und Konzepten. Kommunikationsformen die trialogisch und recoveryorientiert sind, prägen ihre Angebote. Die Debatte um die UN-Behindertenrechtskonvention und die Inklusion belebte die Diskussion um eine Neugestaltung bürgerschaftlichen Engagements unter Einbeziehung psychiatrie-erfahrener Menschen. Der Aufbau von Hilfen, die ambulant, lebensweltorientiert, transparent und regional vernetzt sind, ist neben leitliniengerechtem Arbeiten (s. Leitlinie psychosoziale Therapien) ein weiteres Qualitätsmerkmal gemeindepsychiatrischer Träger.

Damals wie heute vertreten die im DACHVERBAND GEMEINDEPSYCHIATRIE e.V. zusammengeschlossenen Organisationen ein gemeinsames „Konzept Gemeindepsychiatrie“. Dies meint den Vorrang zuverlässiger ambulanter vor stationären Hilfen sowie ein Hilfs- und Behandlungskonzept, das sich am Empowerment-Gedanken orientiert, aktiv die Nutzerbeteiligung fördert und die Entwicklung inklusiver Strategien unterstützt und kommuniziert. Der DACHVERBAND GEMEINDEPSYCHIATRIE e.V. fördert dies seit seinem Bestehen aktiv im Rahmen seiner Projekte, Lobbyarbeit und seiner Mitgliederkommunikation.

Zum 40-jährigem Bestehen hat der Dachverband Gemeindepsychiatrie diese Broschüre herausgegeben. Ein Artikel über die BRÜCKE in Lübeck findet sich auf den Seiten 46/47.
Zum 40-jährigem Bestehen hat der Dachverband Gemeindepsychiatrie diese Broschüre herausgegeben. Ein Artikel über die BRÜCKE in Lübeck findet sich auf den Seiten 46/47.

Inzwischen hat eine breite Professionalisierung der Trägerorganisationen und des Dachverbandes Gemeindepsychiatrie stattgefunden, die Organisationen der Angehörigen und Betroffenen wurden aus Arbeitskreisen des DACHVERBAND GEMEINDEPSYCHIATRIE aufgebaut und sind aus der psychiatrischen Landschaft nicht mehr wegzudenkende Kooperationspartner, neue Behandlungsnetzwerke sowie neue Netzwerke mit anderen Fachverbänden auf Bundesebene entstanden. Seit den letzten 10 Jahren hat sich der bundesweit arbeitende unabhängige DACHVERBAND GEMEINDEPSYCHIATRIE zum sozialwirtschaftlichen und werteorientierten Unternehmensverband der Trägerorganisationen gemeindepsychiatrischer Arbeit sowie der Selbsthilfe und des Bürgerengagements entwickelt. Intern entwickelten sich fachliche Netzwerke unter anderem die „BAG Integrierte Versorgung“, die „Plattform Kinder psychisch kranker Eltern“ und in 2016 die „BAG Bundesteilhabegesetz“.

Der Blick zurück soll den Blick nach vorne öffnen, denn: Gemeindepsychiatrie gestaltet Zukunft – vor 40 Jahren und heute!

Birgit Görres, Geschäftsführerin Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. (Köln)

 

Der Dachverband  Gemeindepsychiatrie e.V. feierte am 15. Juni 2016 sein vierzigjähriges Jubiläum mit einem Festakt in Köln. Die BRÜCKE Lübeck ist Mitglied in diesem Verband.

Der Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. feierte am 15. Juni 2016 sein vierzigjähriges Jubiläum mit einem Festakt in Köln.

Hier gelangen Sie zur Webseite Dachverband Gemeindepsychiatrie

Dort kann auch die Broschüre „40 Jahre Dachverband Gemeindepsychiatrie“ bestellt werden.