Bundesteilhabegesetz – „Lübecker Resolution“ verabschiedet

Am Dienstag, 21. Juni 2016, fand eine gut besuchte Informations- und Diskussionsveranstaltung zum geplanten Bundesteilhabgesetz in der „Gemeinnützigen“ in Lübeck statt. Eine Resolution mit Kritik am vorliegenden Gesetzesentwurf und der Aufforderung zur Nachbesserung unterschrieben 76 TeilnehmerInnen der Veranstaltung. Es sollen weitere Unterschriften gesammelt und an politisch verantwortliche Stellen weitergegeben werden.

Resolution zum geplanten Bundesteilhabegesetz
aus der Veranstaltung zum Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes vom April 2o16  am 21.06.2016 in Lübeck

„Als Menschen mit Behinderung und als Mitarbeitende von sozialen Organisationen, die Hilfen für Menschen mit Behinderung/psychischer Erkrankung anbieten, begrüßen wir die Vorhaben der Bundesrepublik Deutschland, die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung weiterzuentwickeln zu einem zeitgemäßen Teilhaberecht! Wir wollen die Förderung der Selbstbestimmung und die integrative Erbringung von Hilfen über die verschiedenen Leistungsgesetze.

Wir sehen in dem aktuellen Gesetzesentwurf jedoch diese Zielrichtung nicht entsprechend der UN Konvention über die Rechte behinderter Menschen umgesetzt. Es bleiben viele Aspekte ungeklärt (z.B. fehlender Rechtanspruch auf unabhängige Beratung, Hochschwelligkeit durch die Notwendigkeit, dass in drei bzw. fünf Lebensbereichen starke Einschränkungen vorliegen müssen um Hilfen zu erhalten, Unklarheiten in den Bereichen der Teilhabkonferenz und Gesamtplanung, das ICF-Kriterien nicht auch für die anderen Leistungsgesetze gelten sollen, dem Vorrang von Pflegeleistungen vor Eingliederungshilfeleistungen, der mangelnden Beschreibung der „Sozialen Teilhabe“ als Leistungsbereich, der massiven Einschränkung des Wunsch-und Wahlrechtes durch die Kostenvorgabe „unteres Drittel“ der Kosten für Leistungen, sowie eine die Definition der Assistenzleistungen, in der sich Bedarfe von verschiedenen Personengruppen nicht wiederfinden.Wir befürchten nach dem derzeitigen Stand des Entwurfes zukünftig nicht die angemessenen Hilfen in guter Qualität zu erhalten. Wir befürchten, dass wir auch zukünftig von einem auf den anderen Leistungsträger verwiesen werden anstatt zügig Hilfen zur Teilhabe zu erhalten.

Einfach ausgedrückt:

Menschen mit Behinderung und Betreuer/Innen finden es gut, dass die Bundesrepublik ein Gesetz machen möchte, was behinderten Menschen gute Hilfen ermöglicht. Behinderte Menschen sollen so viel wie möglich selbst aussuchen können welche Hilfen sie bekommen. So können wir auch mit der Behinderung ein gutes Leben führen. Wir wollen, dass die Rechte für Menschen in der UN-Konvention und die Rechte in den Gesetzen von Deutschland gleich sind. Wir wollen wissen, welche Hilfen es für uns gibt, damit wir wählen können. Dafür brauchen wir eine gute Beratung. Wir wollen Hilfen auch für Menschen die weniger als drei oder 5 Probleme haben. Wir wollen nicht, dass wir nur zwischen sehr billigen Hilfen wählen können. Wir wollen das Assistenzleistungen so beschrieben werden, dass sie allen behinderten Menschen nutzen können. Wir brauchen bei der Planung von Hilfen Menschen, die uns kennen und denen wir vertrauen. Dazu gehören auch die Mitarbeiterinnen von Einrichtungen. Wir wollen nicht, dass so lange Zeit vergeht bis wir Hilfe bekommen, weil die Ämter sagen, dass sie nicht für uns zuständig sind.

Wir verwehren uns gegen die Verabschiedung des Gesetzes in der jetzigen Form und zum jetzigen Zeitpunkt nur damit wir irgendein Gesetz haben. Gute Teilhabe muss auch in unserem Sinne gut abgestimmt werden.

Darum fordern wir die grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfes, bevor das Gesetz verabschiedet wird.“

Die Resolution mit einer Unterschriftenliste als PDF finden Sie hier.
Unterschriften können Sie per Fax an 0451/ 14008-40 senden.
DIE BRÜCKE übermittelt diese weiter an die zuständigen Ministerien.

_________________________________
Organisation der Veranstaltung: Inklusions-Arbeitsgruppe der BRÜCKE Lübeck

Unterstützung durch: Fachreferentinnen des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein sowie die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände Lübecks

Gäste: Politische Vertreter aus dem Land Schleswig Holstein und aus der lokalen Politik Lübecks

Dauer der Veranstaltung: 3 Stunden

Angewandte Methoden: Moderation und Begrüßung von Profis durch Erfahrung und Profis durch Beruf (Tandemform), Fachvortrag, Sammlung von Wünschen und Befürchtungen in Kleingruppen, Plenumsdiskussion zum Abschluss.

Viel Interesse an Information und Diskussion zum Bundesteilhabegesetz-Entwurf am 21. Juni 2016 in der "Gemeinnützigen" in Lübeck
Viel Interesse an Information und Diskussion zum Bundesteilhabegesetz-Entwurf am 21. Juni 2016 in der „Gemeinnützigen“ in Lübeck

Ca. 110 Menschen aus Lübeck kamen zusammen, weil sie sich für die Inhalte des Referentenentwurfes zum Bundesteilhabegesetz sehr interessieren und von den zukünftigen Auswirkungen des Gesetzes in unterschiedlicher Form betroffen sein werden. So trafen Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen, Angehörige, Fachpersonal unterschiedlichster Leistungserbringer, MitarbeiterInnen der städtischen Verwaltung (Bereich Soziale Sicherung) und Politikerinnen zusammen um sich zu informieren, miteinander zu sprechen und sich zuzuhören sowie Wünsche und grundlegende Forderungen vorzutragen, die die Politik aufnehmen und auch umsetzen sollte.

Viele Gäste folgten der Einladung zu der Veranstaltung in der Gemeinnützigen in Lübeck, organisiert von der Inklusions-AG der BRÜCKE und unterstützt vom Verbund der freien Wohlfahrtspflege Lübeck
Viele Gäste folgten der Einladung zu der Veranstaltung in der Gemeinnützigen in Lübeck, organisiert von der Inklusions-AG der BRÜCKE und unterstützt vom Verbund der freien Wohlfahrtspflege Lübeck

 

Ergebnisse aus den Kleingruppen

„Experten aus Erfahrung“ und „Experten aus Profession“ haben zu jeweils zwei Fragestellungen folgende Ergebnisse erarbeitet:

Experten aus Erfahrung: Was brauche ich, was soll das Gesetz gut regeln?

  • Nachvollziehbarkeit / Transparenz der Leistungen (SMART & AROMA).
  • Gleiche Augenhöhe.
  • Räume für soziale Gruppen.
  • Wegfall der Vermögensgrenzen & Einkommensgrenzen.
  • Klare Regeln für alle.
  • Sozialer Wohnungsbau für alle Behinderungsformen.
  • Unabhängige Beratung.
  • Freizeitangebote für Erwachsene.
  • Eigene Wohnung, statt Heim.
  • Finanzielle Hilfen für Jugendliche und Erwachsene ohne Geld.
  • Gesetzestexte müssen in Gebärdensprache übersetzt werden.
  • Qualifizierte Gebärdendolmetscher statt Kommunikationshelfer.
  • Freier ÖPNV und Fernverkehr für Menschen ohne Merkzeichen im SB-Ausweis
  • Förderung des Ehrenamtes, auch Gebärdendolmetscher finanzieren und Umsetzung der Partizipation

Experten aus Erfahrung: Was befürchte ich, was darf nicht passieren durch das Gesetz?

  • Kein Mitspracherecht zu haben.
  • Entscheidung nach Aktenlage.
  • Aushebelung der UN BRK (z. B. Akt. 19).
  • Die wenigen Rechte und Möglichkeiten werden noch weiter eingeschränkt.
  • Psychisch Erkrankte fallen raus.
  • Schlechtere und weniger Hilfe durch Preisbremse.
  • Recht auf Kommunikation in Gebärdensprache eingeschränkt wird.
  • Dass das Sozialamt Entscheidungen für mich fällt, da sie einfach keine Ahnung haben (kein Fachpersonal, z. B. Sozialarbeiter).
  • Preisspirale nach unten.
  • Raus aus dem sozialen Umfeld.
  • Keine Beratung und Unterstützung vor dem Teilhabeplan (um ihn zu erstellen).
  • Lauft von „Pontius zu Pilatus“: Wird von Kostenträger zu Kostenträger geschickt.
  • Begriffsschwammigkeiten (da kann der Kostenträger dann machen was er will).
  • Wechsel der aktuellen Betreuungskraft.
  • Angst vor unqualifizierter Hilfe (z. B. Nachbarn).
  • Warum hat das Beteiligungsverfahren keinen Einfluss auf das Gesetz gehabt?

Experten aus Profession: Was brauche ich, was soll das Gesetz gut regeln?

  • Entbürokratisierung.
  • Ersatzkriterium für Schwerbehinderteneigenschaft bei z. B. psychisch Erkrankten (Anerkennung).
  • Erweiterung des Katalogs der „Zugangsvoraussetzungen“.
  • Wunsch- & Wahlrecht an erster Stelle.
  • Unabhängige Beratung.
  • Kürzere Wartezeiten zur Bewilligung der Hilfen.
  • „Nahtlose“ Übergänge (z. B. Kind à Erwachsener, Klinik à EGH).
  • Rückkehrmöglichkeit WfBM àAbscherung = leichterer Zugang für Alle.
  • Flexible, prozessorientierte Angebote (statt oder neben zielorientierter Hilfe).
  • Finanzielle Versorgung / Sicherung der auskömmlichen Versorgung.
  • Klarheit in der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger für die Menschen.
  • Prävention.
  • Selbstbestimmtes persönliches Budget fördern und Budget-Assistenz.

Experten aus Profession: Was befürchte ich, was darf nicht passieren durch das Gesetz?

  • Dass für Menschen mit seelischer Behinderung das Mitspracherecht/Wahlrecht beschnitten wird.
  • Arbeitsplätze und angemessene Bezahlung für qualifizierte Arbeit müssen erhalten bleiben.
  • Dass Begrifflichkeit und Werte ad absurdum geführt werden.
  • Behinderung der UN BRK durch das BTHG in der jetzigen Form.
  • Dass Klienten „in der Luft“ hängen, weil sie keine Hilfe bekommen à unklare Zuständigkeit.
  • Wo bleibt die Prävention?
  • Muss man sich nun anstrengen noch behinderter zu sein, damit man Hilfe bekommt?
  • Dass ein Mensch Hilfen nicht erhält, weil er in weniger als 3 oder 5 Lebensbereichen erheblich eingeschränkt ist.
  • Untergang von speziellen Angeboten für individuelle Hilfen bei ausgeprägten Hilfebedarf.
  • „Sterben“ von kleinen Einrichtungen, wg. Kostenineffizienz.
  • Dass das Persönliche Budget ganz verschwindet.
  • Qualitätabsenkung – weil alles billig sein muss.
  • Dass die gute Struktur und Zusammenarbeit (Vertrauen) mit der Verwaltung schlechter wird.
  • Einengung von „Zielgruppen“.
  • Dass ältere Menschen schneller in die Pflege „abgeschoben“ werden.
  • Kooperation zwischen Leistungsanbietern zum Vorteil von Leistungsberechtigen könnte schlechter werden wegen Konkurrenz.